Indien

Operationsaufenthalt in Indien 2007 und 2010

 

Eine sehr wichtige Erfahrung, sowohl Operationserfahrung, als auch Lebenserfahrung, waren für mich meine beiden Aufenthalte in Indien.

Jeweils für ca. 2 Wochen war ich in Chandigarh, einer großen Stadt im Norden Indiens, ca. 260 km nördlich von Delhi, am Fusse des Himalayas. Die Stadt wurde 1964 erst gegründet, von dem französischen Architekten Le Corbusier, in Form eines Menschen. Das heißt, die Regierungsstellen befinden sich im „Kopf“, die Grünanlagen der Stadt (was für eine indische Stadt eine wirkliche Besonderheit ist) sind die „Lungen“, das Stadtzentrum ist das „Herz“ und in den Extremitäten sind die Wohnviertel untergebracht. Die Stadt wurde deshalb aus dem Nichts gegründet, weil die Hauptstadt des Distrikts mit der Neugründung des Staates Pakistan zu dieser Zeit weggefallen ist und eine neue Hauptstadt für den Staat Punjab geschaffen werden musste. Die Straßen sind alle in quadratischer Anordnung, der Verkehr ist für indische Verhältnisse relativ geordnet, für uns Europäer trotzdem sehr gewöhnungsbedürftig, generell gilt: das größere Vehikel hat Vorfahrt!

Ich war dort jeweils im Mai/Juni, die Durchschnittstemperatur beträgt zu dieser Zeit ca. 42 Grad im Schatten. Im Operationssaal gibt es zwar eine Klimaanlage, die den OP-Saal auf ca. 32 Grad kühlt, aber durch die häufigen Stromausfälle ist nur bedingt darauf Verlass.

Auch die Wasserversorgung kann immer wieder mal ausfallen, die Handwäsche vor den OPs erfolgt dann aus dem Kanister.

Manchmal sitzt man 2-3 Stunden im OP und wartet bis der Strom wieder kommt, vor der Türe warten mehr als 10 Patienten auf ihre Operation und man kann nichts machen außer zu warten. Für deutsche Verhältnisse unvorstellbar!

 

Die Bedingungen sind also wesentlich härter als in unseren gut klimatisierten, bestens ausgestatteten europäischen OP-Sälen.

Der Graue Star ist in diesen Ländern sehr weit verbreitet, da ja jeder Mensch im Laufe seines Lebens an einem Grauen Star erkrankt (Alterserscheinung). In den Entwicklungsländern passiert dies meist schon in wesentlich jüngeren Lebensjahren, da die Sonneneinstrahlung sehr stark, die Ernährungssituation sehr schlecht ist und auch häufiger Unfallfolgen vorliegen. So gibt es oft schon Menschen, die bereits mit 30-40 Jahren am grauen Star erblinden.

Weltweit ist der Graue Star die häufigste Erblindungsursache, da so viele Menschen in den Entwicklungsländern, wie Afrika und Indien, nicht die Möglichkeit haben sich daran operieren lassen zu können. Es gibt zu wenig Ärzte oder Einrichtungen, die die Operation durchführen können. Zudem haben die Menschen kein Geld, die Operation zu bezahlen. In unseren Industrieländern ist der Graue Star schon lange kein Erblindungsgrund mehr, da die Menschen rechtzeitig operiert werden und eine Erblindung verhindert werden kann. In Deutschland werden die Kosten der Operation auch von der Krankenkasse übernommen.

 

Aus diesen Gründen findet man in den Entwicklungsländern viel weiter fortgeschrittene Stadien des Grauen Stars wie zum Beispiel eine Schwarzfärbung der Linse (Cataracta Nigra) oder komplette Weissfärbung der Linse (Cataracta matura). Die Linsenkapsel ist oft extrem dünn und manchmal durch die bereits sich verflüssigende Linse prall gespannt (Cataracta hypermatura). Auch Verklebungen der Iris mit der Linsenkapsel (Synechien) liegen häufiger vor. Solche Stadien werden hier in Deutschland selten operiert, da der Patient ja meist vorher schon operiert wird.

 

Dadurch ist es für einen europäischen Arzt eine sehr gute Erfahrung einmal in einem Entwicklungsland operiert zu haben, weil man den Umgang mit sehr „schweren Augen“ lernt und gewöhnt. So war auch für mich die Zeit in Indien eine sehr lehrreiche Zeit, in der ich meine Operationsfertigkeiten vor allem für schwierig Augen schulte. Auch lernt man unter anstrengenden Bedingungen (teilweise bis zu 40 grad im OP!) gute Operationsergebnisse zu liefern. Der Leiter der Klinik Dr. Virdi ist ein sehr erfahrener Augenchirurg, der seine Ausbildung in den USA absolviert hat, der einem immer wieder mit lehrreichen Tricks zur Seite steht und die Organisation der Klinik inne hält. Die Patienten werden mit dem Klinikbus aus den ärmeren, ländlichen Gebieten in die Klinik gebracht und nach der Operation wieder nach Hause gefahren. Am nächsten Tag kommen sie wieder zur Nachuntersuchung. Die Kosten für die Operation übernimmt der operierende Arzt, seine Arbeitsleistung stellt er kostenlos zur Verfügung. Nur so ist es für diese Patienten möglich sich operieren zu lassen.

 

Es war eine tolle Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Bei meinem ersten Aufenthalt habe ich noch eine kleine Rundreise durch Nordindien gemacht. Es ist ein sehr interessantes Land, mit sehr vielen Extremen, leider natürlich auch mit extremer Armut.

Wenn es der Praxisalltag erlaubt, würde ich gerne auch in der Zukunft wieder einmal einen solchen Operationsaufenthalt in Indien machen. Mal schauen ob das klappt!